Ho Sin-sul ist ein koreanischer Begriff, der wörtlich übersetzt Selbstverteidigungstechnik bedeutet. Diese Art von Selbstverteidigung ist eng mit Taekwondo verbunden, widmet sich aber nicht nur dem Kampf (Tae Kwon), sondern vor allem auch der geistigen Dimension, dem Do. Das heißt, daß man sich mit dieser Methode der Selbstverteidigung, die aus Korea kommt, nicht nur effektiv gegen sichtbare Gegner (Menschen), sondern auch gegen unsichtbare Gegner (Krankheiten, Süchte) schützen kann. Ho Sin-sul ist demnach auch eine Hilfe zur Selbsthilfe, die jeder erlernen kann, unabhängig von Alter und Geschlecht. Im zweiten Teil der Artikelserie über Ho Sin-sul, möchte ich näher auf die technische Methode gegen unsichtbare Gegner eingehen. Dazu gehören neben Meditation und Atemtechnik auch das Seon-tche dcho [sprich: son tschee tschoo], eine Art ,,täglicher Spezialgymnastik", die man auch mit modernem koreanischen Yoga umschreiben könnte.
Was ist Seon-tche dcho?
Seon-tche dcho ist eine Art Heilgymnastik, die durch das Zusammenwirken von Körper, Geist und lebendiger Energie wirksam wird. Dafür sind keine speziellen Sportanzüge oder Geräte nötig, sondern nur ein kleiner Platz, an dem man ungestört ist, um in Ruhe üben zu können. Um Fortschritte zu machen, braucht man einen starken Willen und viel Geduld fürs Üben. Das ist eigentlich schon alles und recht wenig, wenn man bedenkt, wie erfolgreich und heilsam diese Methode für Körper und Geist ist. Die Seon-tche dcho-Techniken haben ein Wechselspiel von Anspannung und Entspannung zur Grundlage. Das heißt, daß bei einer bestimmten Übung zum Beispiel die Beinmuskeln angespannt, der Rest des Körpers aber entspannt sein muß. Durch relativ wenige Übungen wird der ganze Körper ausgewogen abgedeckt; es gibt keine einseitigen Belastungen. Hinzu kommt, daß durch beständiges Üben die Durchblutung und somit sämtliche Körperfunktionen aktiviert und ausbalanciert werden. Außerdem ist es förderlich für die Nervensysteme, insbesondere das autonome Nervensystem (in der Wirbelsäule), daß uns Bewegungen, die wir für selbstverständlich halten und automatisch machen (wie z.B. gehen) überhaupt erst ermöglicht.
Der Gesundheitszustand der Menschen wird durch unterschiedliche Faktoren beeinflußt. Gerade heutzutage sind viele Menschen durch Zivilisations-, Berufkrankheiten und Umweltverschmutzung geschädigt (Suchtverhalten, krumme Wirbelsäule, Allergien). Die Selbstverteidigungstechnik Seon-tche dcho kann hier als Mittel zur Heilung eingesetzt werden. Noch besser wäre aber, rechtzeitg vorzubeugen, so daß man erst gar nicht krank wird.
Atemtechnik für das Seon-tche dcho
Es gibt Arten von Atemtechnik, je nach Zweck und für unterschiedliche Stellungen. Einen speziellen Artikel zu diesem komplexen Thema wird es auch noch geben. An dieser Stelle gehe ich nur auf die Atemtechnik des Seon-tche dcho ein. Ich möchte zeigen, wie man diese Atemtechnik anwenden kann, und was dabei (besonders) zu beachten ist.
Bei jeder Bewegung/Übung atmen wir ein und aus. Unser Atemrhytmus bedingt unter anderem auch den Puls, das heißt, atme ich hastig, wird auch mein Puls schnell: bin ich ruhig, so atme ich gleichmäßig, und der Puls wird auch langsamer. Um aber unsere Bewegungen und Übungen machen zu können, brauchen wir ein intaktes, gesundes autonomes Nervensystem. Was passiert nun, wenn ich bewußt ein- und ausatme?
Bei jedem Ein- und Ausatmen nimmt man, ohne es zu wissen, Energie auf. Praktiziert man die Atemtechnik jedoch bewußt, dann nimmt man erstens, weil man konzentriert ist, mehr an kosmischer Energie auf, und zweitens man verteilt sie gezielt im Körper (um beispielsweise Krankheiten zu heilen). Die kosmische, uns überall umgebende Energie wird in zwei Pole unterteilt - in einen positiven (+) und einen negativen (-) Pol (Yang/Yin). Darunter ist keine qualitative Bewertung zu verstehen, vielmehr ein Richtungsanzeiger: jeder Energiestrom, der von oben nach unten geht (vom Himmel auf die Erde), wird mit positiv versehen, umgekehrt (von der Erde zum Himmel) mit negativ. Natürlich gibt es nicht eine einzige Richtung der Energieströme, weder in noch um uns. Das ganze Universum ist ein komplexer Energiefluß. Ein Beispiel: Durch unsere Füße nehmen wir negative Energie auf, diese fließt und verteilt sich im Körper. Während man atmet, nimmt man durch die Nase positive Energie auf, auch fließt diese und verteilt sich. Beide Energien vemengen und verteilen sich im Körper. Dieses Zusammespiel der Energien bewirkt, daß, wenn wir (auch unbewußt) ruhig atmen, unser Puls ruhiger wird. Dies führt zur Entspannung des Menschen. Die Atemtechnik für Seon-tche dcho setzt ein bewußtes Üben voraus.
Im nächsten Heft:
Wie man die richtige Atemtechnik übt und worauf dabei geachtet werden muß. Seon-tche dcho in kleinen Schritten
Großmeister Johann Whang
TAEKWONDO AKTUELL 4/93
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